Skip to content Skip to sidebar Skip to footer


Eine Stadt hat ihren Stil gefunden

Vom Berliner Süden braucht man etwas über eine Stunde, um zur Present von Sia Arnika zu gelangen. Am S-Bahnhof Marzahn (äußerster Osten) angekommen, führt ein dunkler Weg an einem Tümpel und den Schienen vorbei, dann erreicht man das Ember. Ein Occasion-House, der in einem ehemaligen Archiv untergebracht ist und für seinen industriell kühlen Charme geschätzt wird. Erstaunlich viele Gäste haben die Reise dennoch bereitwillig auf sich genommen.

Clubtauglich: Mode von Sia Arnika

Clubtauglich: Mode von Sia Arnika

Quelle: ICONIST

Bei Wein aus Glasfläschchen mit dem ironischen Aufdruck „Senat, Senat“ wird sich über die Mode der Dänin unterhalten, die in Berlin Modedesign studierte und statt in Kopenhagen lieber in der deutschen Hauptstadt zeigt – Pilgerstätte für Millionen Easyjet-Touristen, die im legendären Membership Berghain in Friedrichshain der bundesweiten Realität entkommen wollen. Der Einlass gelang dort allerdings nur mit dem richtigen Look. Die Uniform der Nacht conflict möglichst schwarz, mit Einflüssen aus Rave und Fetisch. Und Sia Arnika beherrscht ihn – auf alltagstaugliche Artwork. Zu ihrer Handschrift gehört die Liebe zu Dekonstruktion und Layering, die Anordnung der Reduce-Outs erinnert stellenweise an einen DNA-Strang.

Feierkultur gehört zu Berlin, kaum verwunderlich, dass diese immer selbstbewusster auch in die Mode eindringt. GmbH, das wohl einflussreichste Label aus Berlin, macht schon seit 2016 Mode, deren Wurzeln in der Berliner Clubkultur liegen. Das Label ist mittlerweile fester Bestandteil der Pariser Modewochen, doch Sia Arnika tröstet über den Verlust in Berlin hinweg.

Eine zeitgemäße und wirkmächtige Hauptstadt?

Wer hier kein Selfie macht, lebt nicht in Berlin: Jörg und Maria Koch in dem neuen 032c­Store mit Installation und Mode des Künstlers Sterling Ruby

Die Zukunft kommt

Bitcoin, NFT, Metaverse – die Digitalisierung machte in den vergangenen Jahren einen Schritt nach vorn, doch hört man sich um, scheint noch nicht jeder die Hintergründe zu verstehen. Die Grenzen des menschlichen Verstands erweitern wollte die Metaverse-Showcase-Ausstellung „Hooked“ der Modekooperative „VORN – The Berlin Style Hub“, die als Ergebnis des VORN-Academy-Packages entstanden ist. Dieser Zusammenschluss von neun Modeschaffenden zielt auf eine nachhaltige Entwicklung in der Branche ab. Dafür verfrachtete man die Mode kurzerhand ins Web3, die nächste Technology des World Broad Internet – Web in 3D.

Ein phygitaler Look, egal für welche Welt

Ein phygitaler (Kunstwort aus der Verbindung von physisch und digital) Look, egal für welche Welt

Quelle: Gil Corujeira

Drei sogenannte phygitale Appears, die additionally sowohl physisch greifbar als auch digital im Metaverse als Avatar zu finden sind, wurden während der Ausstellung gezeigt. Mithilfe von VR-Brillen konnten Besucher ins Metaverse, ebenfalls von den „VORN“-Designern entworfen und realisiert, eintauchen und diese Welt selbst erleben. Für die drei realen Appears wurden nachhaltige Materialien und Drucktechnologien verwendet – QR-Codes an den Designs lieferten Informationen zu den Nachhaltigkeitsaspekten. Die Drucke an sich wurden von einer künstlichen Intelligenz generiert.

Keine Castingshow-Absolventen mehr in der Entrance-Row

Mit dem Aufstieg sozialer Medien im vergangenen Jahrzehnt veränderte sich auf der Berliner Style Week auch die Klientel. Vor dem Einbruch der Modewochen durch die Corona-Pandemie verschob sich der Modediskurs in die Beiträge der Instagram- und YouTube-Prominenz auf Social-Media. Plötzlich saßen in der ersten Reihe mit bestem Blick auf den Laufsteg weniger Redakteure, die über Developments oder gesellschaftliches und modisches Zusammenspiel berichteten, sondern vor allem Influencer, die ihren Alltag filmten und Produktempfehlungen abgaben. Darunter auch Teilnehmer von TV-Castingshows wie „Germany’s Subsequent Topmodel“ oder „Der Bachelor“, die scheinbar zu gern gesehenen Gästen deutscher Designer wurden.

Zahlreiche Journalisten besuchten die Schau von Lou de Bètoly – auch ehemalige Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp

Zahlreiche Journalisten besuchten die Schau von Lou de Bètoly – auch ehemalige Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp

Quelle: Andreas Hofrichter

Doch in dieser Woche, so scheint es, haben die Mode-Connaisseure ihren warmgehaltenen Platz in der Entrance-Row zurückerobert. Auch abseits des Laufstegs auf den dazugehörigen Veranstaltungen traf man wieder vermehrt auf Journalisten, die sich des Wechsels beim Publikum durchaus bewusst waren. Ob das mit dem Weggang des Hauptsponsors zusammenhängen könnte? „Der Weggang von Mercedes-Benz conflict sicherlich ein Weckruf und hat uns zu denken gegeben“, sagte Scott Lipinski, Chef des Fashion Council Germany, in einem Interview.

Passen Mode und Aktivismus doch zusammen?

Anders als in den geölten Modemaschinen Mailand oder Paris gehört in Berlin Weltverbesserung und Chaos zum Lokalkolorit – Unbehagen erregen Störgeräusche so schnell nicht. Aktivistinnen der Gruppe „Letzte Technology“ unterbrachen die Schau von Designerin Anja Gockel im Resort „Adlon“ und wurden heraus begleitet, nachdem sie auf dem Laufsteg die vermeintliche Ignoranz der Modebranche angeprangert hatten. Andernorts protestierten halb nackte Mitglieder der Tierschutzorganisation Peta gegen die Daunenindustrie. Die wenigsten Adressaten schienen empört, im Gegenteil: Sie beteuerten, den Kampf gemeinsam führen zu wollen. Gibt es in diesem Prozess bald nur noch Kläger, aber keine Angeklagten? „Wir wissen nicht, ob Mode und Aktivismus zusammenpassen. Aber wir müssen es versuchen“, wird Anita Tillmann, Messechefin der Premium Group, zitiert.

Gefälschte Adidas-Modenschau der Aktivistengruppe „Yes Men“

Gefälschte Adidas-Modenschau der Aktivistengruppe „Sure Males“

Quelle: pa/dpa/Gerald Matzka

Der größte Coup gelang der Aktivistengruppe „Sure Males“. In einer Pressemitteilung hatte sie sich als Adidas ausgegeben und zu einer Efficiency geladen, die die Geschichte von „geschundenen“ Arbeitern in Südostasien erzählen wolle. Auf dem Laufsteg stolperten blutverschmierte Fashions in zerrissener Kleidung mit Adidas-Logo umher. Adidas reagierte immediate und verwies darauf, seit mehr als 25 Jahren für faire und sichere Arbeitsbedingungen in zuliefernden Ländern zu sorgen.

Entweder Berlin schwimmt oder ertrinkt

Keine andere Modemetropole musste sich so oft dem Vorwurf stellen, als Modestadt tot zu sein. In New York, Paris und Mailand würde sich das Hauptgeschehen abspielen, und Kopenhagen wäre ohnehin spannender als Berlin. Als Mercedes-Benz sich als Sponsor der Style Week zurückzog, hätte das ihr Nagel zum Sarg sein können. Schon zuvor sorgten verwirrende Ereignisse, wie der angebliche Umzug der Modewoche nach Frankfurt am Predominant für Verunsicherung. Doch Not macht erfinderisch.

Auch Rihanna wurde schon in Mode von Namilia gesichtet

Auch Rihanna wurde schon in Mode von Namilia gesichtet

Quelle: Getty Photos for NEWEST 2023/Andreas Rentz

Neue Areas, die außerhalb der üblichen Szeneviertel lagen, luden Besucher in entfernter gelegene Gegenden wie Marzahn oder Oberschöneweide und machten bewusst, wie viel Berlin auch territorial zu bieten hat. Über neue Labels wie Namilia wurde schon Tage vorher viel diskutiert, es sollte die Present werden, erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand etwa im Berliner Salon. Die auffälligen Appears des Labels sind auf den ersten Blick ein Antonym in sich selbst: Gigantische Schultern, viel nackte Haut, Lederjacken in freizügigen Kombinationen, mit denen man auch eine Rennstrecke unsicher machen könnte. Im Gegensatz dazu: elegante Abendroben und Handschuhe mit einem Windstoß Fetisch – ein Hauch wäre untertrieben.

Das Label Namilia setzte mit seinen Looks ein Berlin-Statement

Das Label Namilia setzte mit seinen Appears ein Berlin-Assertion

Quelle: Getty Photos for NEWEST 2023/Andreas Rentz

Interessant wird Berlin als Modestadt aber darüber hinaus vor allem durch das Verschwimmen mit dem Kulturgeschehen. Bis 22. Januar können Interessierte etwa eine Set up des jungen Künstlers Daniel Hölzl im knallroten Schaufenster der 032c-Boutique begutachten – ein Raum, in dem die schwarz-weißen Werke zu schweben schienen. Und in einer Designausstellung der Stallmann Gallery zerfließen noch bis Ende Februar bunte Holzmöbel von Julian Bieneck, die direkt gute Laune bescheren. Die Keramikkunst von Hap Ceramics schaffte es in die Räumlichkeiten des Berliner Salons und erschuf mit Kratern in seinen Vasen die Phantasm eines Korallenriffs. Und in der Neuen Nationalgalerie verändert die Ausstellung „I do You“ von Monica Bonvicini den Raum durch architektonische Eingriffe. Berlin ist gerade alles andere als in Untiefen versunken.

Kleidung ist viel mehr als der Schutz vor Kälte und Nässe

So spiegeln sich Dresscodes in Politik, Religion und Kultur wider





Source link

Leave a comment

You have not selected any currency to display